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Zum Thema Grubenunglück Borken 1988:
Eine Katastrophe läßt ihre Opfer nicht los

Psychologe hilft Menschen mit traumatischen Erlebnissen


Landkreis. Überlebende von Unglücken und Gewalttaten werden oft ihr Leben lang 
nicht mehr froh. Ein Psychologe aus Friebertshausen will helfen.

von Andreas Lukesch

Borken, 1. Juni 1988: In der Braunkohlegrube "Stolzenbach" kommt es zu  einer 
Kohlenstaubexplosion. 51 Bergleute werden unter Tage getötet. Über 1000 Helfer 
sind rund um die Uhr im Einsatz. Nach 3 Tagen geschieht dann das Wunder. 6 
Bergleute, die in einer Luftblase überlebt haben, werden unverletzt geborgen.

Die Medien feiern die Kumpel als die "Helden von Borken", bis das Interesse an 
ihnen verebbt. Doch für die Geretteten sind die 3 schlimmsten Tage in ihrem 
Leben nicht vergessen. "Ein solches Ereignis verändert das ganze Leben", weiß 
der Diplom-Psychologe Georg Pieper aus Friebertshausen. 

Der 40jährige ist spezialisiert auf sogenannte posttraumatische 
Belastungsstörungen und behandelt nicht nur die 6 Überlebenden von Borken. 
Hinterbliebene, Ehefrauen getöteter Bergleute, Mütter und Väter, die ihren Sohn 
verloren haben, aber auch Mitglieder der Rettungsmannschaften vertrauen sich dem 
Psychologen an. "Die Folgen des Unglücks bestimmen den Alltag der Betroffenen. 
Ein Türschlag kann ausreichen, um Einzelheiten der grauenvollen Erlebnisse 
wieder in Erinnerung zu rufen. Dann läuft plötzlich alles noch einmal wie ein 
Film vor dem geistigen Auge ab."

Menschen, so Pieper, die mit diesen Belastungen leben müssen, leiden oft unter 
Schlafstörungen. Sie bekommen Schweißausbrüche und fangen an zu zittern, wann 
immer das Erlebte wiederkommt. "Die Kumpel aus Borken umgingen die 
Unglücksstelle zum Teil kilometerweit", berichtet der Psychologe. "Dazu kommen 
paradoxe, aber typische Verhaltensmuster. Sie werden von Schuldgefühlen 
gegenüber den Familien der Verstorbenen geplagt, leiden darunter, die Helden von 
Borken zu sein."

Von der Preussen-Elektra wurde Georg Pieper damals für die psychologische 
Betreuung Hinterbliebener engagiert. Heute hilft er in seiner Praxis nicht nur 
den Opfern von Borken. Bei ihm suchen Menschen Hilfe, die schreckliche Unfälle 
miterleben mußten, Opfer von Vergewaltigungen wurden oder einen ihnen 
nahestehenden Menschen verloren haben.

"Ihnen allen ist die erste Reaktion auf das Unglück gemeinsam. Sie versuchen das 
Erlebte zu verdrängen", sagt Pieper und ergänzt: "Das ist genau der falsche Weg. 
Denn entweder ziehen sie sich völlig zurück oder stürzen sich blindlings in neue 
Abenteuer, die die Eindrücke des Geschehenen überdecken sollen."

Mit Überlebenden unter Tage

Pieper schlägt den entgegengesetzten Weg ein. Er redet mit den Betroffenen immer 
und immer wieder über die Erlebnisse. "Das allein reicht zur Bewältigung aber 
nicht aus. Die Menschen brauchen auch praktische Hilfe. Wenn sie nicht mehr aus 
dem Haus gehen, dann übe ich mit ihnen, sich wieder unter Menschen zu bewegen."

Mit den Überlebenden des Grubenunglücks fuhr Pieper wieder unter Tage, sprach 
mit ihnen an der Unglücksstelle über die Ereignisse vor 5 Jahren.

Die Konfrontation mit dem Geschehenen geht unter Umständen soweit, daß 
Erinnerungslücken sogar unter Hypnose aufgefüllt werden. "Ziel ist es, die 
Menschen von ihrer Angst zu befreien, sich an das traumatische Erlebnis zu 
erinnern."

Pieper weiß, daß dies am besten in der Gruppe geht. "Viele Witwen der getöteten 
Kumpel fanden wieder zu einem neuen Lebensziel, als sie merkten, daß es ein 
Gruppenmitglied geschafft hat." Doch schon der Erfahrungsaustausch in der Gruppe 
kann heilen. "Da gilt der Spruch: Geteiltes Leid ist halbes Leid."

Auch wenn jeder Fall verschieden ist und der Auseinandersetzung mit den 
Erlebnissen individuelle Grenzen gesteckt sind, hat die Therapie Piepers Erfolg. 
Bei 3 Viertel der Personen wurde die Behandlung nach seinen Worten erfolgreich 
abgeschlossen.

Jetzt will der Psychologe auch anderen Menschen helfen, die unter 
posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Mit Betroffenen aus dem Kreis und 
ganz Mittelhessen sollen erstmals eine oder mehrere Gruppen entstehen, in denen 
mit psychologischer Begleitung die Folgen belastender Erlebnisse ausgearbeitet 
werden.

Angesprochen sind Opfer von Unfällen und Gewaltverbrechen sowie Zeugen von 
Katastrophen, aber auch Hinterbliebene, die Kinder, nahe Verwandte oder Freunde 
verloren haben.


Interessenten können sich bei Georg Pieper, 
Auf dem Heckenstück 2, in Friebertshausen unter der 
Telefonnummer (06462) 28 41 täglich außer Dienstag 
in der Zeit von 8.30 bis 9.30 Uhr und 18 bis 19 Uhr melden. 
Liegt eine psychische Erkrankung vor, werden die Kosten ganz 
oder zum Teil von der Kasse getragen.
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